Aufhebungsvertrag im Wohnzimmer: Kein Recht auf Widerruf, aber auf faire Verhandlung!

BAG, Urt. v. 07.02.2019 – 6 AZR 75/18
Arbeitsvertrag, Aufhebungsvertrag, Anfechtung, Widerruf, Gebot fairen Verhandelns

Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge lassen sich nicht nur im Betrieb, sondern auch zu Hause in der Wohnung des Arbeitnehmers abschließen. Das BAG hatte für die bis Mitte Juni 2014 geltende Rechtslage entschieden, dass ein Aufhebungsvertrag zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber kein sog. „Haustürgeschäft“ sei und nicht nach den Verbraucherschutzvorschriften (§ 312 ff. BGB a.F.) durch den Arbeitnehmer widerrufen werden kann. Zur neuen Fassung der §§ 312 ff. BGB, die Mitte Juni 2014 im Zuge der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie (RL 2011/83/EU) eingeführt wurden, lag bislang noch keine höchstrichterliche Entscheidung vor. Dies hat sich letzte Woche geändert.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat zur Frage des Widerrufs eines Aufhebungsvertrages nach den §§ 312 ff. BGB und zur arbeitsvertraglichen Nebenpflicht fairen Verhandelns entschieden (BAG, Urt. v. 07.02.2019 – 6 AZR 75/18). In der Pressemitteilung des Gerichts 6/19 heißt es:

„Eine Arbeitnehmerin kann einen Vertrag, durch den das Arbeitsverhältnis beendet wird (Aufhebungsvertrag), auch dann nicht widerrufen, wenn er in ihrer Privatwohnung abgeschlossen wurde. Ein Aufhebungsvertrag kann jedoch unwirksam sein, falls er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist.
Die Klägerin war bei der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. Sie schloss in ihrer Wohnung mit dem Lebensgefährten der Beklagten einen Aufhebungsvertrag, der die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zahlung einer Abfindung vorsieht. Anlass und Ablauf der Vertragsverhandlungen sind umstritten. Nach Darstellung der Klägerin war sie am Tag des Vertragsschlusses erkrankt. Sie hat den Aufhebungsvertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung angefochten und hilfsweise widerrufen. Mit ihrer Klage wendet sie sich u.a. gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag.
Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dieses Urteil auf die Revision der Klägerin aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Dieses hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass dem Vortrag der Klägerin kein Anfechtungsgrund entnommen werden kann und der Widerruf eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags auf gesetzlicher Grundlage nicht möglich ist. Der Gesetzgeber hat zwar in § 312 Abs. 1 i.V.m. § 312g BGB Verbrauchern bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden sind, ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB eingeräumt. Auch Arbeitnehmer sind Verbraucher. Im Gesetzgebungsverfahren ist jedoch der Wille des Gesetzgebers deutlich geworden, arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht in den Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB einzubeziehen.
Das Landesarbeitsgericht hat jedoch nicht geprüft, ob das Gebot fairen Verhandelns vor Abschluss des Aufhebungsvertrags beachtet wurde. Dieses Gebot ist eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Sie wird verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schafft, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert. Dies könnte hier insbesondere dann der Fall sein, wenn eine krankheitsbedingte Schwäche der Klägerin bewusst ausgenutzt worden wäre. Die Beklagte hätte dann Schadensersatz zu leisten. Sie müsste den Zustand herstellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde (sog. Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB). Die Klägerin wäre dann so zu stellen, als hätte sie den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Dies führte zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Das Landesarbeitsgericht wird die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags daher erneut zu beurteilen haben.“

Ergänzende Hinweise

Das Bundesarbeitsgericht hat in der vorzitierten Entscheidung gleich zu mehreren, für die Praxis bedeutsamen Fragen Stellung bezogen. Das Gericht ist in Übereinstimmung mit der nahezu allgemeinen Auffassung der Meinung, dass es sich bei einem Arbeitnehmer um einen Verbraucher handele (vgl. § 13 BGB). Daraus folgt für das Gericht aber nicht die Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB, die sich mit Verbraucherverträgen befassen. Das Gericht weist darauf hin, dass eine Einbeziehung von arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen in den Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB dem im Gesetzgebungsverfahren hinreichend deutlich gewordenen Willen des Gesetzgebers widersprechen würde.

Allerdings zeigt das Bundesarbeitsgericht zu Gunsten von Arbeitnehmern zugleich einen Weg auf, wie sich diese den für sie nachteiligen Folgen eines Aufhebungsvertrages entziehen können. Das BAG verlangt im Hinblick auf die Frage der Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages eine Prüfung daraufhin, ob der Arbeitgeber unter Berücksichtigung des Einzelfalles das Gebot fairen Verhandelns verletzt habe. Dieses Gebot sei eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht und werde verletzt, wenn der Arbeitgeber eine psychische Drucksituation geschaffen habe, die eine freie und überlegte Entscheidung des Arbeitnehmers über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert. Soweit eine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns festgestellt werde, handele es sich dabei um eine den Arbeitgeber zum Schadenersatz verpflichtende Handlung. Der Arbeitgeber müsse den Zustand herstellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde, sog. Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB).

Das BAG führt seine Rechtsprechung (keine Widerrufsrecht) auch zur neuen Fassung der Verbraucherschutzvorschriften konsequent fort.

Der Arbeitnehmer ist somit nicht schutzlos gestellt. Unter anderem (neben z.B. einer etwaigen, zugegebenermaßen aber selten erfolgreichen Anfechtung) kann der Aufhebungsvertrag aber auch wegen Verstoßes gegen das dargestellte Gebot fairen Verhandelns unwirksam sein. Die Beweislast hierfür liegt beim Arbeitnehmer. Allerdings muss sich der Arbeitgeber inhaltlich dazu hinreichend einlassen. Arbeitgeber sollten (und sei es auch nur, um die Unwirksamkeit eines Aufhebungsvertrages als unliebsame Überraschung zu vermeiden) darauf hinwirken die Umstände des Abschlusses von Aufhebungsverträgen seriös/professionell sind und dass dies notfalls auch jemand bezeugen kann. Allein eine vorformulierte Klausel im Aufhebungsvertrag, mit der der Arbeitnehmer bestätigt, dass die Umstände so gewesen sind, dass kein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns vorlag, ist rechtlich wertlos, wenn tatsächlich das Gegenteil der Fall war.