Legitimationswirkung der Gesellschafterliste auch bei eingezogenen Geschäftsanteilen – Möglichkeiten effektiven Rechtsschutzes per einstweiliger Verfügung

BGH, Urteil vom 20.11.2018, Az. II ZR 12/17

Gesellschaftsrecht, GmbH-Recht, Einziehung von Geschäftsanteilen, Gesellschafterliste, Einstweilige Verfügung

Eine Gesellschafterliste (§ 16 GmbHG) legitimiert selbst dann zum Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung von GmbHs, wenn es den Geschäftsanteil nicht mehr gibt, weil er wirksam eingezogen ist.

Sachverhalt:

Der Kläger war Gesellschafter der Beklagten, einer GmbH, und hielt an dieser ursprünglich Geschäftsanteile im Nennbetrag von EUR 102.000; dies entsprach 51% des Stammkapitals der Beklagten. Die übrigen Geschäftsanteile im Nennbetrag von EUR 98.000 (49%) hielt ein Mitgesellschafter des Klägers.

Ein Teil der Geschäftsanteile des Klägers im Nennbetrag von EUR 40.000 (20%) wurde aus wichtigem Grund eingezogen; dem Kläger verblieben damit nur noch Geschäftsanteile im Nennbetrag von EUR 62.000. Mit seiner gegen die Einziehung gerichteten Klage blieb der Kläger erfolglos. Nach Erlass des Urteils wurde eine neue Gesellschafterliste für die Beklagte beim Handelsregister eingereicht, in welcher die Einziehung der klägerischen Geschäftsanteile vermerkt war.

Nach der Einziehung eines Teils seiner Geschäftsanteile, jedoch noch vor Hinterlegung der entsprechend geänderten Gesellschafterliste, fand eine Gesellschafterversammlung der Beklagten statt. An dieser nahmen der Kläger und sein Mitgesellschafter teil. Bei der Beschlussfassung wurden die Stimmen des Mitgesellschafters mit EUR 98.000 und die Stimmen des Klägers – aufgrund der zuvor erfolgten Einziehung – nur mit EUR 62.000 gezählt. Infolgedessen überstimmte der Mitgesellschafter des Klägers ihn bei der Fassung verschiedener Beschlüsse. Die gegen diese Beschlüsse erhobene Klage des Klägers war in zweiter Instanz teilweise erfolgreich. Dagegen legten sowohl der Kläger als auch die Beklagte Revision beim BGH ein.

Die Entscheidung:

Der BGH bestätigte in weiten Teilen die Auffassung der Vorinstanzen zur Nichtigkeit der ergangenen Gesellschafterbeschlüsse. Er nahm außerdem detailliert zur Legitimationswirkung der Gesellschafterliste nach § 16 Abs. 1 GmbHG Stellung und stellte klar, dass diese auch bei eingezogenen Geschäftsanteilen Anwendung findet.

Dass ein ordnungsgemäß gefasster Einziehungsschluss sofort wirksam wird, wenn er dem betroffenen Gesellschafter zugestellt wird, stehe dem nicht entgegen.

Der BGH räumt in der ausführlich begründeten Entscheidung der Rechtssicherheit der Gesellschaft darüber, wer Mitgliedschaftsrechte ausüben darf, eine hohe Bedeutung ein. Durch das Abstellen auf die rein formelle Legitimationswirkung soll ihr eine unter Umständen aufwändige Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse erspart bleiben. Gleichzeitig hat das Gericht klargestellt, dass die Legitimationswirkung sich nur auf den scheinbaren Fortbestand eines früher vorhandenen Geschäftsanteils beziehen kann. Nicht dagegen kann sie zur scheinbaren Entstehung eines nicht existenten Geschäftsanteils führen.

Anmerkungen und Praxisempfehlungen:

Vor allem bei Gesellschafterstreitigkeiten verschärft sich der Wettlauf zwischen den verschiedenen Parteien nochmals. Die verbleibenden Gesellschafter (und die Gesellschaft) wollen die Veränderungen beim Handelsregister möglichst schnell herbeiführen, der von der Einziehung Betroffene will möglichst verhindern, dass eine neue Gesellschafterliste eingereicht wird.

Für die betroffene Gesellschaft ist dies vor allem dann unbefriedigend, wenn die Geschäftsanteile aus wichtigem Grund (z.B. aufgrund erheblicher Pflichtverletzungen des Gesellschafters) eingezogen wurden und sie den Gesellschafter so schnell wie möglich aus ihrem Gesellschafterkreis entlassen und von Entscheidungen über die Gesellschaftspolitik ausschließen möchte. Die Gesellschaft bzw. die hierfür zuständigen Geschäftsführer werden in solchen Fällen folglich alles daran setzen, so schnell wie möglich eine aktualisierte Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen. Dabei sollten sie unbedingt auf die Einhaltung der für Gesellschafterlisten geltenden Formalia achten, um eine Zurückweisung der Gesellschafterliste durch das Registergericht und daraus resultierende ungewünschten Verzögerungen bei der Hinterlegung der neuen Gesellschafterliste zu vermeiden. Die Einreichung der neuen Gesellschafterliste können (und müssen) die Geschäftsführer übrigens auch dann veranlassen, wenn der zugrundeliegende Einziehungsbeschluss vom betroffenen Gesellschafter gerichtlich angefochten wurde (außer wenn ihnen bekannt oder eindeutig erkennbar ist, dass die Einziehung der Geschäftsanteile rechtswidrig war).

Diese Möglichkeit, eine aktualisierte Gesellschafterliste trotz einer anhängigen Klage gegen den zugrundeliegenden Einziehungsbeschluss einzureichen, schützt zwar die Gesellschaft, birgt für den von der Einziehung betroffenen Gesellschafter jedoch ein Risiko. Denn wird auf seine Klage hin im Nachhinein festgestellt, dass die Einziehung unrechtmäßig war, verliert er durch die Einreichung einer neuen, die Einziehung ausweisende Gesellschafterliste (vorerst) die Möglichkeit, die ihm eigentlich zustehenden Gesellschafterrechte auszuüben.

Um sich vor den daraus resultierenden Negativfolgen zu schützen, steht dem Gesellschafter ein Vorgehen im einstweiligen Rechtsschutz offen.

Eine Anleitung für einen effektiven Rechtsschutz des Gesellschafters bietet in derartigen Konstellationen die Entscheidung des Kammergerichts Berlin aus dem Jahr 2017:

Nach der Entscheidung des KG Berlin ist eine Gesellschafterliste nämlich dann nicht maßgeblich, wenn sie entgegen einer einstweiligen Verfügung zum Handelsregister eingereicht wurde.

Eine einstweilige Verfügung, mit welcher der Gesellschaft die Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste zum Handelsregister untersagt wird, verpflichtet die Gesellschaft, Maßnahmen zur Verhinderung der Listeneinreichung zu ergreifen und hilfsweise die Einreichung einer Korrekturliste zu veranlassen. Dies hat das Kammergericht in Berlin in seinem Urteil vom 9. November 2017 klargestellt.

Verstößt die Gesellschaft gegen diese Verpflichtung muss sie sich so behandeln lassen, als sei die von der Verfügung betroffene Gesellschafterliste nie in das Handelsregister aufgenommen worden. Über die eingeschränkte Rechtskraftwirkung einer im vorläufigen Rechtschutzverfahren gegen die Gesellschaft ergangenen Entscheidung kann sich die Gesellschaft nicht hinwegsetzen, indem sie – unter Berufung auf die generelle Legitimationswirkung von Gesellschafterlisten – ohne Beteiligung des in der hinterlegten Gesellschafterliste nicht mehr als Gesellschafter ausgewiesenen Gesellschafters Beschlüsse fasst.

Empfehlenswert ist es daher für den betroffenen Gesellschafter, sich schon vor der Hinterlegung einer aktualisierten Gesellschafterliste zur Wehr zu setzen und der Gesellschaft bzw. deren Geschäftsführern per einstweiliger Verfügung die Einreichung einer solchen Gesellschafterliste zu untersagen.

Entscheidung des Kammergerichts

So sieht es auch das Kammergericht und konkretisiert zugleich die Pflichten der betroffenen GmbH und ihrer Geschäftsführer in einem solchen Fall:

Wenn Ihnen durch einstweilige Verfügung die Einreichung einer bestimmten geänderten Gesellschafterliste untersagt wird, bedeutet dies nämlich

– dass die GmbH und ihre Geschäftsführer selbst keine solche Gesellschafterliste zum Handelsregister einreichen dürfen;

– dass sie die Pflicht trifft, die Einreichung einer solchen Gesellschafterliste zu verhindern und

– dass sie hilfsweise eine korrigierte Liste (mit dem bisherigen Gesellschafterbestand) einreichen müssen.

Werden diese Pflichten verletzt, ist die Gesellschaft so zu behandeln, als sei die aktualisierte und verbotswidrig eingereichte Gesellschafterliste nie in das Handelsregister aufgenommen worden.

Einstweilige Verfügung sichert Stellung des Gesellschafters und Beteiligung an Gesellschafterbeschlüssen

Im Grundsatz überrascht die Entscheidung des Kammergerichts nicht. Die Berufung auf eine Gesellschafterliste, die entgegen einer einstweiligen Verfügung zum Handelsregister eingereicht wird, ist treuwidrig. Weder die Gesellschaft noch ihre Geschäftsführer noch der an der Veränderung mitwirkende Notar dürfen Gesellschafterlisten entgegen einer solchen einstweiligen Verfügung zum Handelsregister einreichen.

Die Entscheidung des Kammergerichts, daraus auch eine aktive Pflicht zur Verhinderung der Einreichung bzw. hilfsweise zur Einreichung einer Korrekturliste abzuleiten, ist nur konsequent.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass von einem Einziehungsbeschluss betroffene, also ausgeschlossene Gesellschafter, die ihre Stellung durch eine einstweilige Verfügung gesichert haben, jedenfalls bis zur Klärung des Streits um die Einziehung ihrer Geschäftsanteile an Gesellschafterbeschlüssen weiterhin beteiligt werden müssen. Andernfalls droht Nichtigkeit der (ohne sie gefassten) Gesellschafterbeschlüsse.