Beendigung Handelsvertretervertrag während Probezeit: Ausgleichsansprüche

EuGH 19.4.2018, C-645/16

Handelsvertretern stehen die vorgesehenen Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche auch dann zu, wenn der Handelsvertretervertrag während der Probezeit beendet wird. Dieses Auslegungsergebnis wird durch das Ziel der Richtlinie bestätigt, das u.a. im Schutz des Handelsvertreters in seiner Beziehung zum Unternehmer besteht.

Beendigung eines Handelsvertretervertrages

Das Unternehmen und der Handelsvertreter schlossen einen Handelsvertretervertrag ab. Der Vertrag sah eine Probezeit von zwölf Monaten vor, innerhalb deren beide Parteien das Recht hatten, ihn mit einer bestimmten Frist zu kündigen. Einige Monate nach Vertragsabschluss kündigte der Vertreter den Vertrag. Der Handelsvertreter verlangte daraufhin vom Unternehmen die Zahlung eines Ausgleichs zum Ersatz des mit der Beendigung des Handelsvertrages verbundenen Schadens.

Die Handelsvertreter-Richtlinie (86/653/EWG) sieht vor, dass ein Handelsvertreter gegenüber dem Unternehmer Anspruch auf einen Ausgleich oder auf Schadenersatz nach Beendigung des Vertragsverhältnisses hat. Anspruch auf Schadenersatz besteht, wenn der Handelsvertreter

1. Provisionsansprüche verliert, die ihm bei normaler Fortsetzung des Vertrages zugestanden hätten und/oder
2. Kosten und Aufwendungen nicht amortisieren kann, die er in Ausführung des Vertrages gemacht hätte.

Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn

1. er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindung mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und
2. die Zahlung eines solchen Ausgleichs der Billigkeit entspricht.
Der mit dem Rechtsstreit zwischen Unternehmen und Handelsvertreter befasste Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) verlangte vom EuGH eine Klärung der Frage, ob diese Ansprüche auch dann bestehen können, wenn der Handelsvertretervertrag während der Probezeit beendet wird.

Richtlinie steht der Vereinbarung einer Probezeit nicht entgegen

In seinem Urteil vom 19. April 2018 (C‑645/16) stellt der EuGH zunächst fest, dass die Richtlinie der Vereinbarung einer Probezeit in einem Handelsvertretervertrag nicht entgegensteht. Da die Vereinbarung einer Probezeit in keiner Bestimmung der Richtlinie geregelt ist, sei davon auszugehen, dass eine solche Vereinbarung, die unter die Vertragsfreiheit fällt, nach der Richtlinie nicht per se verboten sei.

Ausgleich oder Schadenersatz auch bei Beendigung während Probezeit

Der Gerichtshof erachtete gestützt auf die Auslegung des Wortlauts der Richtlinie die vorgesehenen Ausgleichs- und Schadenersatzregelung nicht als Sanktion für die Vertragsauflösung, sondern als Entschädigung des Handelsvertreters für erbrachte Leistungen oder Kosten und Aufwendungen. Der Ausgleich oder Schadenersatz darf dem Handelsvertreter daher nicht alleine deshalb verweigert werden, weil die Beendigung des Vertrages während der Probezeit eingetreten sei. Dies wird auch durch das Ziel der Richtlinie, das u.a. im Schutz des Handelsvertreters liegt, bestätigt. Im Ergebnis kann deshalb auch dann ein Anspruch auf Ausgleich oder Schadenersatz bestehen, wenn der Handelsvertretervertrag während der Probezeit aufgelöst wird.