Erfolgloser Auflösungsantrag gemäß § 9 KSchG: Mehrmaliges Fehlverhalten führt nicht automatisch zum zerrütteten Arbeitsverhältnis

Kündigung, Kündigungsschutzverfahren, fristlose Kündigung gem. § 626 BGB, Auflösungsantrag § 9 KSchG

LAG Düsseldorf, Urt. v. 23.01.2019 – 7 Sa 370/18

Ein Auflösungsantrag ist ein scharfes Schwert. Dass aber selbst bei einem stark belasteten Arbeitsverhältnis nicht ohne weiteres ein Auflösungsantrag nach § 9 Kündigungsschutzgesetz gerechtfertigt ist, zeigt der folgende Fall des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (LAG).

Das LAG Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 23.01.2019 (7 Sa 370/18) der Kündigungsschutzklage der BWL-Professorin Karin Kaiser, die bei der Bundestagswahl für die AfD in Schleswig-Holstein als Kandidat eingetreten war, stattgegeben. Dieser war von der Hochschule Niederrhein fristlos gekündigt worden, weil auf Seiten des Arbeitgebers die Zusammenarbeit unzumutbar geworden sei.

Hochschule erhebt Vorwürfe gegen Professorin

Zunächst war seitens der Hochschule, was allerdings über Jahre bekannt gewesen war, moniert worden, dass die Professorin eine Nebentätigkeit als Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin ausgeübt hat. Auch war ihr vorgeworfen worden, sie habe dadurch, dass sie nicht an den Niederrhein gezogen sei, gegen die Residenzpflicht verstoßen, sei unentschuldigt Vorlesungen ferngeblieben und habe eigenmächtig Assistenten zum Abhalten von Vorlesungen engagiert. Auch habe sie andere Mitarbeiter diffamiert.

Keine Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung trotz Engagement bei der AfD

Nach Auffassung der Richter reichten die vorgetragenen Gründe nicht aus, um darzulegen, dass ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung iSv § 626 BGB vorgelegen habe, der eine weitere Zusammenarbeit unmöglich machen würde. Die erhobenen Vorwürfe würden die Kündigung nicht rechtfertigen oder aber sein durch vorangegangene Abmahnungen bereits verbraucht worden. Der erhobene Vorwurf andere Mitarbeiter diffamiert zu haben, sei vom Arbeitgeber viel zu pauschal erhoben worden. Auch der Umstand, dass die Professorin für die AfD bei der Bundestagswahl kandidiert habe, könne keine fristlose Kündigung rechtfertigen.

Aber nicht nur für eine Kündigung reichte das Fehlverhalten nach Meinung der Richter nicht aus. Der Auflösungsantrag der Hochschule war ebenfalls abzulehnen, da keine Gründe vorlagen, die der Hochschule die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumuten könnten. Insgesamt stellte sich das Verhalten der Professorin als noch nicht so hartnäckig dar, dass bereits davon ausgegangen werden muss, dass eine künftige Zusammenarbeit der Parteien nicht mehr möglich sei.

Hinweis zur Entscheidung:

Mit einem Auflösungsantrag geschieht etwas sehr Ungewöhnliches: Der Arbeitnehmer gewinnt seinen Kündigungsschutzprozess, ist aber trotzdem seinen Job los. Stellt ein Arbeitsgericht nämlich fest, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses niemandem zuzumuten ist, hat das Gericht entweder auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Oder aber es hat die gleiche Entscheidung auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr erwarten lassen.

Allgemeine Praxishinweise zu den Voraussetzungen eines erfolgreichen Auflösungsantrags gemäß § 9 KSchG:

Die grundsätzliche Voraussetzung für einen Auflösungsantrag ist, dass die Kündigung sozialwidrig, also wegen eines Verstoßes gegen § 1 KSchG unwirksam ist, die Klage damit eigentlich Erfolg hat.

Weiterhin müssen Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen (§ 9 Abs.1 Satz 2 KSchG). Liegen die hohen Anforderungen eines Auflösungsantrags vor, hat das Gericht das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Gerade für Führungskräfte ist es wichtig bei einer Auseinandersetzung diese Problematik zu berücksichtigen. Insbesondere für Leitende Angestellte ist der Auflösungsantrag oft eine unbekannte Gefahr.

Voraussetzungen eines Auflösungsantrags

Die Anforderungen an einen Auflösungsantrag werden von Gerichten sehr restriktiv gehandhabt. Der erfolgreiche Auflösungsantrag soll der Ausnahmefall bleiben, insbesondere bei einem Auflösungsantrag durch Arbeitgeber. In der Praxis wird von diesem Instrument auch nicht oft Gebrauch gemacht. Das Kündigungsschutzgesetz und damit die Möglichkeit sich gegen Kündigungen zu Wehr zu setzen, geht in erster Linie darauf, den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu sichern. Der Arbeitnehmer soll die Möglichkeit erhalten das Arbeitsverhältnis weiterführen zu können, wenn eben feststeht, dass die Kündigung unwirksam ist und kein Vergleich geschlossen wurde. Würde dem Auflösungsantrag unter vereinfachten Bedingungen stattgegeben werden, würde dies dazu führen, dass Arbeitgeber sich unabhängig von dem Gewicht des einzelnen Kündigungsgrundes immer erfolgreich trennen könnten. Fast jede Kündigung würde zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen, dies ist nicht gewollt.

Auflösungsgründe für den Arbeitnehmer

Der Arbeitnehmer kann den Auflösungsantrag bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz den Antrag stellen. Das Arbeitsverhältnis wird dann gegen Zahlung einer Abfindung gem. § 10 KSchG aufgelöst. Der Antrag ist begründet, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten ist. Der Arbeitnehmer muss darlegen, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für ihn auf Dauer zu unzuträglichen Bedingungen führt. Der Arbeitnehmer muss Gründe anführen, die diese Annahme rechtfertigen. Er kann hierbei alle Umstände, die in einem inneren Zusammenhang mit der Kündigung stehen oder im Laufe des Kündigungsrechtsstreits entstanden sind, geltend machen. Gründe für einen Auflösungsantrag des Arbeitnehmers können sich z.B. aus dem Inhalt der im Prozess gewechselten Schriftsätze oder aus dem Verhalten des Arbeitgebers oder ihm zurechenbarer Dritter während des Prozesses ergeben. Der Arbeitnehmer kann seinen Auflösungsantrag sowohl bei sozialwidriger ordentlicher Kündigung als auch nach unwirksamer außerordentlicher Kündigung stellen.

Auflösungsgründe für den Arbeitgeber

Auflösungsgründe für den Arbeitgeber liegen vor, wenn eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten ist. Auch dieser Auflösungsantrag kann bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden. Kommt es für die Beurteilung einer Kündigung auf den Kündigungszeitpunkt an, ist der Auflösungsantrag eine Vorausschau ob in der Zukunft eine gedeihliche Zusammenarbeit zu erwarten ist.

Das Bundesarbeitsgericht stellt an den Auflösungsgrund bei Arbeitgebern sehr strenge Anforderungen. Letztendlich um den Schutz vor Kündigungen nicht zu einem Abkaufinstrument werden zu lassen.

Abzustellen ist immer auf Gründe, welche an die Person des Arbeitnehmers anknüpfen. Dies können das persönliche Verhältnis zum Vorgesetzten, die Leistung aber auch das Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern sein. Die Gründe können sich darüber hinaus auch auf das prozessuale und außerprozessuale Verhalten des Arbeitnehmers beziehen. Auch Gründe die vor oder nach der Kündigung liegen können herangezogen werden.

Für beide Seiten, Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist es oft schwer einzuschätzen, ob ein Auflösungsgrund vorliegt. Der Auflösungsantrag kann daher für Arbeitgeber durchaus ein taktisches Mittel sein, um den Arbeitnehmer zu Vergleichsverhandlungen zu „zwingen“ und einen Aufhebungsvertrag herbeizuführen.

Neben einem Auflösungsgrund muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers noch eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit möglich ist. Es findet eine Gesamtabwägung statt, bei der etwa die Dauer der Betriebszugehörigkeit eine Rolle, aber auch gefragt wird wie die bisherige Zusammenarbeit verlief. Eine lange Zusammenarbeit ohne größere Beanstandungen führt dazu, dass höhere Anforderungen an den Auflösungsgrund gestellt werden.

Auch das Verhalten in Kündigungsschutzprozessen kann ich hier herangezogen werden. Verteidigt sich der Arbeitnehmer mit unrichtigen Einwendungen, trägt falsch vor oder bestreitet wahrheitswidrig den Vortrag des Arbeitgebers kann dies (versuchten) Prozessbetrug darstellen. Ein solcher wiederum kann den Auflösungsantrag eines Arbeitgebers rechtfertigen. Von daher muss auch ein geschulter Arbeitnehmervertreter im Rahmen des prozessualen Vortrages einen möglichen Auflösungsantrag im Hinterkopf haben.

In der Praxis seltener sind Beleidigungen oder ehrverletzende Äußerungen. Wie diese können auch Drohungen des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber oder Kollegen einen Auflösungsantrag rechtfertigen. Auch der Arbeitnehmer, der den Arbeitgeber diffamiert oder versucht gegenüber Kollegen oder Kunden bloßzustellen geht das Risiko ein Auflösungsgründe zu schaffen. Ein weiterer Auflösungsgrund kann die Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen sein. Schließlich können auch Mobbingvorwürfe einen Auflösungsgrund darstellen, gelingt es dem Arbeitgeber die entsprechenden Vorwürfe zu widerlegen. Für Arbeitnehmer sind Auflösungsgründe besonders gefährlich, welche das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber in Frage stellen.

Auflösungsantrag und Leitende Angestellte

Bei echten Leitenden Angestellten, kann der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag stellen, ohne dass dieser begründet werden muss. Bei echten leitenden Angestellten hat es der Arbeitgeber bei geschicktem prozessualen Handeln in der Hand so oder so eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses herbeizuführen. Aus Sicht des leitenden Angestellten bedeutet dies, dass er sich schon im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses mit dem prozessualen Risiko eines Auflösungsantrags beschäftigen muss.

Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass echte leitende Angestellte eine äußerst seltene Spezies sind. Gerade echte leitende Angestellte im kündigungsschutzrechtlichen Sinne sind so häufig wie weiße Eichhörnchen. Es gibt sie, aber noch Niemand hat sie gesehen. Selbst ein Personalleiter muss nicht zwingend leitender Angestellter sein.

Folge eines erfolgreichen Antrages auf Auflösung

Wird der Auflösungsantrag von dem Gericht anerkannt, ist die Folge die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei einer fristgerechten Kündigung geendet hätte. Neben der Auflösung setzt das Gericht eine Abfindung fest, deren Höhe grundsätzlich bis zu 12 Monatsverdienste betragen kann. Regelmäßig orientieren sich Arbeitsgerichte dabei an der sogenannten Faustformel, d.h. pro Jahr der Beschäftigung wird ein halbes Bruttomonatsgehalt zur Berechnung der Abfindung zu Grunde gelegt. Hat der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden, so ist ein Abfindungsbetrag von bis zu 15 Monatsverdienste festsetzbar. Hat der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet und hat das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden, so ist ein Abfindungsbetrag von bis zu 18 Monatsverdiensten festzusetzen. In den letztgenannten Fällen wird die Abfindung daher auf keinen Fall höher als ein Bruttomonatsgehalt pro Jahr der Beschäftigung sein.

Empfehlungen im Umgang mit einem Auflösungsantrag

Aus Arbeitnehmersicht ist die Höhe der Abfindung wenig überzeugend und ist der Auflösungsantrag nur letztes Mittel und will geprüft sein. Im Rahmen einer prozessualen Auseinandersetzung muss dieses Instrument jedoch stets im Hinterkopf behalten werden. Gerade bei Führungskräften muss dieses Risiko immer berücksichtigt werden.

Arbeitgebern kann nur empfohlen werden von diesem Instrument taktisch geschickt häufiger Gebrauch zu machen. Oft kann ein geschickt gestellter Auflösungsantrag bei vergleichsunwilligen Arbeitnehmern doch zu einer Lösung führen.